• Warum feiern wir Sonntagsgottesdienste?

  • von Pfarrer Wolfram Schmidt
    Über die Bedeutung und den Aufbau der sonntäglichen Gottesdienstfeiern (Teil 1)

    1. Einleitung


    Haben Sie sich schon einmal ernsthaft gefragt: Warum gehe ich eigentlich am Sonntag in den Gottesdienst? - Warum gehe ich eigentlich nicht mehr am Sonntag in den Gottesdienst? Gerne werden auf diese Frage Antworten verwendet wie: Ich bin das halt so gewohnt, dass zum Sonntag die Mitfeier des Gottesdienstes gehört. oder: Wir sollten doch sonntags in die Kirche gehen, wegen dem Sonntagsgebot. Andere, die nicht mehr so oft oder gar nicht mehr den Gottesdienst mitfeiern, antworten vielleicht: Die Gottesdienste bringen mir nichts (mehr), da bleibe ich lieber zu Hause und schlafe mich aus, oder ich gehe in die Natur, da bin ich Gott auch nahe.
    Ganz gleich, ob wir Menschen regelmäßig oder nur selten den Sonntagsgottesdienst mitfeiern - wissen wir so genau und so gut, warum wir in der Heiligen Messe oder in einer Wort-Gottes-Feier bestimmte Dinge tun und sagen? Wissen wir, welche Bedeutung die vielen einzelnen Elemente der Eucharistiefeier oder der Wort-Gottes-Feier haben, aus denen wir Sinn und Inhalt ziehen können, damit der Sonntagsgottesdienst uns etwas bringt, damit wir vielleicht auch noch mehr oder auch wieder Zugang zu den verschiedenen Feierformen am Sonntag gewinnen? Bis zum Ende der 1960er Jahre, bis zur Liturgiereform wurde vor allem die Heilige Messe als ein Kult angesehen, dessen einziger Träger, Vollzieher der Priester am Altar war. Das Kirchenvolk nahm nur an wenigen Punkten die Messfeier wahr (Evangelienverkündigung, Wandlung, Kommunion) - die übrige Zeit verbrachten die Gläubigen im persönlichen Gebet (Litaneien, Rosenkranz usw.).
    Mit der Liturgiereform veränderte sich zum einen das Gesicht der Heiligen Messe. Liebgewonnene Elemente wurden gestrichen, neue Teile eingeführt, andere wieder verändert. Obwohl das Zweite Vatikanische Konzil die Seelsorger beauftragte, Sorge dafür zu tragen, dass alle Gläubigen innerlich und äußerlich tätig an der Liturgie teilnehmen können, blieb doch vor allem die Unterweisung zur inneren Teilnahme, sprich die Erklärung vieler Dinge (warum wird was wie gemacht?) hinter den Erwartungen zurück. Dieses Nicht-Verstehen hat, neben anderen Gründen, wohl auch zum Auszug vieler Menschen aus der Heiligen Messe beigetragen. Oder dazu, dass viele Menschen die Heilige Messe zwar äußerlich mitfeiern, aber innerlich doch unbeteiligt sind, und somit zu den vielzitierten Gottesdienstbesuchern werden.
    Zum andern machte die Liturgiereform den Weg für andere Gottesdienstformate am Sonntag frei. Vor allem die neue Form von Wort-Gottes-Feiern rückte damit in das Blickfeld der Gemeinden. Zunächst nur für sogenannte Missionsgebiete in Lateinamerika gedacht wurde diese Gottesdienstform bald zu einer wichtigen liturgischen Feier in Gemeinden, in denen kein Priester zur Verfügung steht. So fand diese Feierform auch ihren Platz in Europa. Neben vielen Elementen, die wir aus der Eucharistiefeier kennen, beinhalten die Wort-Gottes-Feiern auch Elemente, die für uns neu und erklärungsbedürftig sind.
    So will ich versuchen, Ihnen in den nächsten Ausgaben von Gemeinde(Er)leben einen neuen / tieferen Zugang zu den verschiedenen Formen des Sonntagsgottesdienstes zu vermitteln, damit unsere Eucharistiefeiern und unsere Wort-Gottes-Feiern noch lebendiger, noch verständlicher werden, damit unsere Gemeinschaft noch intensiver und größer wird.

    2. Allgemeines


    2.1. Warum feiern wir Gottesdienst?


    Nach der Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils ist die Feier der Liturgie die Mitte des gesamten christlichen Lebens (Konzilsdokument zur Liturgie Sacrosanctum concilium 11). In der Folge dieses Textes wird diese Aussage noch einmal wiederholt und dann speziell auf die Eucharistiefeier bezogen (SC 11). In der Eucharistiefeier, allgemein auch Heilige Messe genannt, aber auch in allen anderen Gottesdienstformen wird also das ganze christliche Dasein wie unter einem Brennglas zusammengefasst. Alles Leben als Christ gipfelt in der Feier von Gottesdiensten. Denn in diesen Feiern erinnern wir Christen uns immer wieder an den Urgrund unseres Christseins, unseres Glaubens: an die Erlösung durch Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi.
    Seit dem Entstehen christlicher Gemeinschaften kamen Christen am ersten Tag der Woche, am Tag der Auferstehung Jesu, um auf die Lehre der Apostel zu hören, in geschwisterlicher Gemeinschaft zu beten und das Brot zu brechen (Apg 2,42). Diese Versammlung im Gedenken an die Auferstehung findet auch heute noch am ersten Tag der Woche, am Sonntag statt. Somit feiern wir Woche für Woche ein kleines Osterfest.
    Gott selbst lädt Woche für Woche die Christen ein, seine Heilstaten, seine Erlösung der Menschen durch Jesus Christus zu feiern. Die Christen danken, loben und preisen Gott für diese Heilstaten, für diesen Dienst, indem sie sich an das Geschehen um Jesus, an sein Leben, Wirken, Sterben und an seine Auferstehung erinnern. Gott braucht diesen Dank nicht - doch der Dank nutzt uns: so halten wir in uns das Bewusstsein wach, dass wir Menschen unser Leben und unser Heil nicht uns selbst, sondern Gott verdanken. Von daher sollte es eigentlich keinen äußeren Zwang geben (Sonntagsgebot), regelmäßig am Sonntagsgottesdienst teilzunehmen. Eher sollten wir uns innerlich dazu gedrängt fühlen, immer wieder diese Feier in den Mittelpunkt unseres Sonntags zu stellen.
    So sind alle Menschen zur gottesdienstlichen Feier eingeladen, so dürfen alle kommen. Egal, ob wir alt oder jung sind, ob wir still und unbeweglich in der Bank sitzen oder laut brabbelnd vor dem Altar herumkrabbeln, ob wir eine ernste Miene aufsetzen oder laut lachend Gott feiern - egal wie wir uns unserem Alter gemäß verhalten: wir alle sind von Gott so willkommen, wie wir sind. Und es hat wahrlich nichts mit mangelnder Ehrfurcht zu tun, wenn Kinder sich auch bei Gott wie Kinder verhalten. Im Gegenteil: auch die Erwachsenen dürfen bei Gott so sein, wie sie in ihrem Leben sind.
    Denn wenn wir Gottesdienst feiern, dann geht es nicht nur um unsere persönliche Beziehung zu Gott, um eine persönliche Frömmigkeitsübung. Die kann ich nämlich auch im privaten Rahmen zu Hause oder auch im Wald pflegen - und das vielleicht sogar ungestörter als in der Kirche.
    Im Gottesdienst geht es aber ebenso um unseren Alltag, um unser Leben, das jeden Tag auf uns wirkt. Einerseits dürfen wir alles, was uns bewegt in dieser Feier vor Gott bringen (Bitten, Gebet), andererseits dürfen wir erwarten, aus dem Wort Gottes heraus Ideen, Hilfen, Anregungen, Ermahnungen, Anstöße, Aufforderungen oder Antworten zur Bewältigung unseres Alltags aus dieser Feier mit nach Hause zu nehmen. Wir sind auch in dieser Stunde des Gottesdienstes derselbe Mensch mit Fragen, Sorgen, Problemen und Freuden, der wir auch zu Hause sind. Deshalb haben diese Fragen, Sorgen, Probleme und Freuden ihren Platz in dieser Feier. Umgekehrt aber sollten wir auch unser Verhalten vor Gott im Gottesdienst hinaustragen in unser alltägliches Leben, in unseren Umgang mit Menschen, mit Tieren, mit der Natur - denn Gottesliebe ist identisch mit der Menschenliebe, mit der Nächstenliebe, mit der Liebe zur Natur.
    Fortsetzung in der nächsten Ausgabe von Gemeinde(Er)leben.

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